Ein Marshallplan für Afrika?
(von Rainer Gruszczynski)
Nicht „wir“ müssen uns darüber Gedanken machen, wie afrikanische Länder entwickelt werden. Entwicklung können „wir“ von außen gar nicht leisten. Der Schlüssel für die Lösung afrikanischer Probleme liegt vor allem bei den Eliten in Afrika. Für diese Einsicht muss deutsche Politik sich in Afrika unmissverständlich einsetzen.
Seit vielen Jahren fordern die armen Länder unseres Erdballs, unterstützt durch ein Heer von westlichen NGOs, dass die reichen Industrienationen einen höheren Anteil ihres jeweiligen BNP für Entwicklungshilfe ausgeben. Vor allem Afrika soll davon profitieren. So nimmt es auch nicht wunder, dass deutsche Politiker sich gern damit brüsten, wenn der Etat des BMZ – zurzeit rund 8 Mrd. € - wieder einmal ausgeweitet wird. Höhepunkt einer solchen Debatte ist gegenwärtig die Forderung von Minister Müller nach einem Marshallplan für Afrika, die auch sogleich von dem neuen EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani aufgegriffen wurde. Zur Erinnerung: Nach dem 2. Weltkrieg haben die USA mit der Bereitstellung von sehr viel Geld den Wiederaufbau Europas beschleunigt und damit gleichzeitig Absatzmärkte für US-Erzeugnisse geschaffen.
Zunächst einmal ist anzuerkennen: Die vom BMZ erarbeiteten Ziele des Marshallplans für Afrika und die darin genannten Maßnahmen zu ihrer
Erreichung klingen für unsere westlichen Ohren durchaus plausibel und zeugen von ehrlichem partnerschaftlichen Bemühen. Sie haben nur einen Schönheitsfehler: Sie sind im deutschen BMZ formuliert
worden anstatt von afrikanischen Regierungen, die sich auch verpflichtet fühlen, sie umzusetzen.
Wenn es in dem BMZ-Papier heißt: „Wir wollen afrikanische Lösungen für afrikanische Herausforderungen“ oder wenn Tajini behauptet: „Wir müssen jetzt…“ (er nennt dann von der EU zu ergreifende Maßnahmen), stellt sich doch sogleich die Frage, ob wirklich wir für die Entwicklung in Afrika zuständig sind oder ob es nicht vielmehr an der Zeit ist, sich vom „humanitären Kolonialismus“ (Perry) zu verabschieden. Denn wir dürfen nicht übersehen: Afrikanische Staaten sind seit mehr als 50 Jahren politisch unabhängig, und in dieser Zeit haben ihnen Industriestaaten und internationale Organisationen viele hundert Milliarden Dollar an Entwicklungshilfe überwiesen. Das Verhältnis von Aufwand und Ertrag ist aber äußerst unbefriedigend geblieben. Das beweisen gegenwärtig auch die vielen Armutsflüchtlinge aus Afrika. Angesichts der mangelnden Effizienz der in der Vergangenheit von westlichen „Experten“ verantworteten Entwicklungskonzepte bietet es sich daher geradezu an, die Zuständigkeit für die Lösung afrikanischer Probleme an die dortigen Regierungen zurückzuverlagern.
Afrikanischen Regierungen könnten, wenn sie diese Herausforderung denn annähmen, viel überzeugender, als es westliche „Experten“ getan haben, die historisch gewachsenen Leitbilder ihrer Gesellschaften in den von ihnen zu verantwortenden Konzepten berücksichtigen – Leitbilder, auf denen jede Entwicklung beruht. Falls es ihnen notwendig erscheint, können afrikanische Verantwortliche auch viel glaubwürdiger als westliche „Experten“ dafür eintreten, dass überlieferte gesellschaftliche Vorstellungen an die Erfordernisse der Gegenwart angepasst werden. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die afrikaweit geltende Philosophie des Ubuntu zu nennen. Danach hat der Einzelne weniger als Person Bedeutung denn als Mitglied von Familie, Dorf, Clan oder Region – Systemen, denen er durch Treuepflichten verbunden ist, in denen aber individuelle Rechte den kollektiven Rechten untergeordnet sind. Solche systemischen Konstellationen haben sich in der afrikanischen Geschichte durchaus bewährt, weil diese Gruppen – Familie, Clan, Dorf - das Überleben der Individuen erleichtert haben. Sie bergen aber auch gravierende Nachteile. Das infolge von Ubuntu entstandene kollektive Eigentum an Grund und Boden z.B. wirkt heute als mächtige Entwicklungsbremse. Denn viele Unternehmen weigern sich, Investitionen vorzunehmen und damit langfristig Kapital zu binden auf einem Grundstück, das ihnen nicht gehört und das nicht einmal katastermäßig erfasst wurde. Ein solches Problem aber kann nur innerafrikanisch gelöst werden. Und hier müsste die Überzeugungsarbeit afrikanischer Eliten gegenüber den Traditionalisten in ihrem Land ansetzen.
Dafür müssten die afrikanischen Eliten aber – anders als bisher - erst einmal den ernsthaften politischen Willen bekunden, die Armut in ihren Ländern wirkungsvoll zu bekämpfen. Denn noch gilt: Afrikas größter Reichtum sind nicht etwa die Rohstoffe, sondern die armen Bevölkerungen, die dafür sorgen, dass Entwicklungshilfe-Milliarden den Kontinent erreichen. Geld, an dem sich die Eliten weiterhin, wie in den Zeiten des Kalten Krieges, hemmungslos bereichern. Warum also sollten sich die Mitglieder afrikanischer Regierungen der Beseitigung der Armut in ihren Ländern verpflichtet fühlen? Kenner der gegenwärtigen afrikanischen Verhältnisse betonen einhellig, dass den Eliten das Wohlergehen der Bevölkerung schlicht egal ist.
James Shikwati, ein kenianischer Wirtschaftswissenschaftler, fordert neben anderen verantwortlich denkenden afrikanischen Fachleuten vom Westen und Japan seit vielen Jahren schon, die Entwicklungshilfe einzustellen, weil sie dazu führt, dass afrikanische Regierungen es sich leisten können, die Erledigung ihrer Hausaufgaben zu verweigern, nämlich die Armut in ihren Ländern zu beseitigen. Jüngstes Beispiel: Weder der kenianische Präsident Kenyatta noch sein Industrie- und Handelsminister nahmen trotz Zusagen im Februar dieses Jahres an dem Deutsch-Afrikanischen-Wirtschaftsgipfel in Nairobi teil. Dort ging es um deutsche Investitionen, also um die Implementierung von Wertschöpfungsketten und die Verringerung der Importabhängigkeit afrikanischer Länder sowie um die die Erhöhung des Steueraufkommens und, damit verbunden, um die Senkung der Abhängigkeit afrikanischer Länder von Entwicklungshilfegeldern. Vor allem aber ging es auch darum, in Afrika Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn deutsche Unternehmen in Afrika investieren, könnten dort zwar eher Arbeitsplätze entstehen, als wenn afrikanische Regierungen sich dazu verpflichten, BMZ-Gelder dafür einzusetzen. Jedoch wenn deutsche Unternehmen direkt in Afrika investieren, ist es für afrikanische Entscheider zumindest schwieriger, Geld in ihre privaten Taschen umzuleiten. Entsprechend sinkt dann ihr Interesse an der Förderung der heimischen Wirtschaft durch Direktinvestitionen. Und hier zeigt sich das eigentliche Problem: „Wir“ können nicht für andere – die afrikanischen Eliten – wollen.
In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass mit dem Thema ausländische Direktinvestitionen in Afrika auch andere unerledigte Hausaufgaben afrikanischer Regierungen ins Blickfeld rücken. Unternehmen, die in Afrika investieren wollen, fordern z.B. Rechtssicherheit für den Fall, dass es zu Streitigkeiten zwischen ihnen und anderen Akteuren auf der wirtschaftlichen oder politischen Bühne kommt. Denn ohne Rechtssicherheit ist ihr Privateigentum nicht ausreichend geschützt, und daher sind geschlossene Verträge u.U. wertlos. Auch afrikanische Institutionen wie die Zentralbank, der Rechnungshof, aber auch Parlamente mit ihren Ausschüssen müssten gestärkt und von politischer Bevormundung befreit werden, damit das wirtschaftliche Umfeld, und ganz nebenbei auch das der Gesellschaft, sich zum Wohle des Ganzen entfalten kann. Kurzum: Direktinvestitionen von ausländischen Unternehmen sind zwar der Königsweg für die Schaffung von Arbeitsplätzen, Einkommen und Zukunftsperspektiven für die afrikanischen Bevölkerungen. Wenn ein afrikanisches Land sich aber wirklich bemüht um Direktinvestitionen, dann muss es sich gleichzeitig für good governance einsetzen und das heißt, es muss Betrug und Korruption in Politik, Wirtschaft, Rechtswesen und Gesellschaft bekämpfen. Mit anderen Worten: Wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt ist in Afrika nur denkbar, wenn sich die politischen Rahmenbedingungen ändern.
Ob es dazu kommt, wenn die “Zusammenarbeit“ auf dem Felde der Entwicklung weiterhin von finanziellen Zuwendungen bestimmt wird, ist stark zu bezweifeln. Daher müssten es die Geberländer sein, die sich zu einer Kurskorrektur entschließen. Wenn sie ankündigen, die finanziellen Zuwendungen z.B. innerhalb von 7+x Jahren schrittweise zurückzufahren, und das dann auch tatsächlich umsetzen, sähen sich die afrikanischen Regierungen genötigt, das zu tun, wofür sie gewählt wurden: Ihren Bevölkerungen zu dienen und deren Nutzen zu mehren. Nachdem es dann – hoffentlich – schrittweise zu einer guten Regierungsführung gekommen ist, könnte die deutsche Bundesregierung erneut versuchen, Projekte in Afrika gezielt finanziell zu fördern, z.B. den Bereich der Bildung, aber nur so lange, wie dies dort ohne betrügerische Verwerfungen möglich ist.
Aber auch in Deutschland dürfte eine solche Kurskorrektur auf erhebliche Widerstände treffen. Volker Seitz, der ehemalige deutsche Botschafter in Kamerun, gibt in seinem Buch „Afrika wird armregiert“ die Anzahl derjenigen, die in der deutschen Entwicklungsindustrie arbeiten, mit rund 100.000 an. Die sollten sich zwar im Laufe ihres Berufslebens eigentlich überflüssig machen. Doch davon ist man weit entfernt. Sie werden außerordentlich gut bezahlt und genießen viele Privilegien. Warum nur sollten sie das alles gefährden? Seitz zitiert einen bei den afrikanischen Eliten beliebten Spruch: „Ihr tut so, als ob ihr uns helft. Und wir tun so, als ob wir uns entwickeln.“ Klar, dass Seitz sich für ein deutliches Umsteuern bei der Entwicklungshilfe einsetzt.
Unabhängig von einer radikalen Kursänderung der Entwicklungspolitik, selbst nach Einstellung finanzieller Zuwendungen, könnte das BMZ – wenn es denn von afrikanischen Regierungen darum gebeten wird! - technische Hilfe bei der Verbesserung der Regierungsführung anbieten. Neben den bereits erwähnten Arbeitsfeldern bietet sich der Aufbau eines effizienten Steuersystems an, denn Steuerzahler erwarten vom Staat – anders als bei aus dem Ausland kommenden Zuwendungen für Entwicklung - Rechenschaft über die Verwendung seiner Einnahmen. Auch könnte das BMZ für deutsche Unternehmen, die in Afrika Arbeitsplätze schaffen, z.B. zinsgünstiges Risikokapital bereitstellen und die Rahmenbedingungen für Kreditbürgschaften verbessern. Das wären dann allerdings Maßnahmen, die mit Fug und Recht auch dem Wirtschaftsministerium zugeordnet werden könnten. Damit käme dann zugleich ein Stück Normalität und Ehrlichkeit in die deutsch-afrikanischen Beziehungen. Kein Geber würde dann einem unterentwickelten Empfänger so nebenbei das Gefühl geben, dass sein Land unterentwickelt und daher von Almosen abhängig ist. Stattdessen würden beide Seiten dann auf Augenhöhe und um einen fairen Ausgleich bemüht ihre Interessen verfolgen. Sie würden ihre Afrikapolitik dann auf eine ähnliche Art betreiben wie die Chinesen, denen allerdings egal ist, ob die afrikanischen Partner sich um gute Regierungsführung bemühen. Zu einer solchen Partnerschaft gehört im Übrigen auch, dass Regierungen, wie es im Geschäftsleben üblich ist, einen Bonitätsnachweis erbringen, bevor es zu einem Geschäftsabschluss kommt, vor allem dann, wenn er einen Kredit erforderlich macht. Bonitätsfördernd könnte es dann aus Sicht des BMZ auch sein, dass afrikanische Regierungen durch eigene Anstrengungen / Vorleistungen beweisen, dass es ihnen Ernst ist mit der der Verfolgung ihrer proklamierten Ziele.
Zum Abschluss auch noch ein Hinweis auf die Absicht der Bundesregierung, mit Hilfe eines Marshallplans die Anzahl der afrikanischen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen wollen, zu reduzieren. Wenn es in den 10 Thesen für einen Marshallplan in Afrika heißt: „Europa braucht ein Konzept, das legale Wege der Migration ermöglicht und irreguläre Migration und Schleusertum bekämpft,“ dann ist das zumindest eine ehrliche Aussage. Ob allerdings die Verminderung der Anzahl afrikanischer Flüchtlinge vom BMZ glaubwürdig und wirksam betrieben werden kann, ist zu bezweifeln. Was hat dieses Anliegen auch mit Entwicklung zu tun? Oder anders gefragt: Wie lange will Deutschland sich dieser Art von „Entwicklung“ widmen? Auch die Reduzierung der Flüchtlingszahlen kann zumindest in absehbarer Zukunft nur erreicht werden, wenn sie nicht mit Geld erkauft wird, an dem afrikanische Kleptomanen in Regierungen und Verwaltungen sich unkontrolliert bereichern können. Darüber hinaus ist der Erfolg eines solchen Vorhabens davon abhängig, dass Regierungen in Afrika sich wirklich für die Lösung des deutschen oder auch europäischen Problems zuständig fühlen – was schon sehr viel verlangt wäre - und dass sie sich darüber hinaus erfolgreich dafür einsetzen, die Armut in ihrem Land zu bekämpfen. Noch aber gibt es auch einflussreiche afrikanische Politiker, die ihren Bürgern ausdrücklich das Recht auf Migration bescheinigen. Wahrscheinlich auch deswegen, weil sie Kritiker im eigenen Land loswerden wollen. Das kann aber kein deutsches Anliegen sein und der Umgang damit gehört in die Zuständigkeit eines anderen Ministeriums als des Ministeriums für Entwicklung. Überdies ist auch aktuelle die Flüchtlingspolitik der deutschen Regierung auf dem Weg zu einem Geldbeschaffungsprogramm für afrikanische Politiker.
Zusammenfassung dieses Artikels:
Nicht „wir“ müssen uns darüber Gedanken machen, wie afrikanische Länder entwickelt werden. Entwicklung können „wir“ von außen gar nicht leisten. Der Schlüssel für die Lösung afrikanischer Probleme liegt vor allem bei den Eliten in Afrika. Für diese Einsicht muss deutsche Politik sich in Afrika unmissverständlich einsetzen.
Seit 2006 ist Rainer Gruszczynski für verschiedene gemeinnützige Organisationen als Initiator, Begleiter und Kontrolleur von Entwicklungshilfe-Projekten in Westafrika tätig. In diesem Rahmen arbeitet er seitdem dort auch regelmäßig jeweils für mehrere Wochen vor Ort. Während seiner Aufenthalte und in Diskussionen mit vielen anderen Praktikern der „Entwicklungszusammenarbeit“ hat er festgestellt, dass diese nicht nur zwischen Regierungen von sehr zweifelhaftem „Erfolg“ ist. Auch bei der Kontrolle von Projekten, die von westlichen NGOs finanziert und von afrikanischen NGOs durchgeführt wurden, musste er zur Kenntnis nehmen, dass in jedem (!) der Vorhaben Betrug und Korruption eine meist nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Diese Erfahrungen haben ihn inzwischen veranlasst, sich von der zuwendungsbasierten Entwicklungshilfe ab- und der kreditbasierten Hilfe zuzuwenden. Mit seiner Initiative COTRANGA, aber auch im Rahmen der Social-Business-Stiftung, Hamburg, der er als Beirat angehört, widmet er sich der Versorgung von Frauengruppen in Westafrika mit Mikrokrediten.
R.G. ist zudem Mitglied im BonnerAufruf, einem lockeren Zusammenschluss von Wissenschaftlern, Politikern, ehemaligen Diplomaten, Leitern von international tätigen NGOs – allesamt erfahrene Praktiker der Entwicklungshilfe in Afrika, die sich zu diesem Thema aufgrund ihrer Erfahrungen kritisch zu Wort melden und für einen entschiedenen Kurswechsel eintreten. Gründungsmitglieder waren u.a. der ehemalige deutsche Botschafter in Kamerun Volker Seitz („Afrika wird armregiert“) und Rupert Neudeck.
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